Der Konflikt
Harmonie gilt für die meisten von uns als Idealzustand. Dabei sind Konflikte das, was uns weiterbringt. Konflikte sind nicht schädlich, sondern wichtig. Der Konflikt wird meist missverstanden- sagt Reinhard K. Sprenger. Er scheint zu spalten, aber er fügt doch zusammen. Ein echtes Wir kann es nur über Konflikte geben. Dabei ist der Spruch, „Es ist nichts Persönliches“ entlarvend und schlichtweg falsch: Immer dominiert die Beziehungsebene die Sachebene.
Wenn Schweigen schuldig macht, wenn Zurückhaltung Zustimmung bedeuten würde, die man nicht geben will, weil die Selbstachtung auf dem Spiel steht – dann sollte man mit Elan in einen Konflikt einsteigen. Niemals aber nur, um recht zu behalten. Niemals werden Sie mehr über jemanden erfahren und über das, was den anderen und einem selbst wichtig ist, als wenn man dafür in den Konflikt geht!
Leben heißt: Widersprüche verwalten – in der Gesellschaft, im Unternehmen, in privaten Beziehungen und in sich selbst. Das Ziel des Konflikts ist nicht der Konsens, sondern dass [gemeinsame] Weitermachen. Das setzt voraus, die Perspektive des anderen als Bereicherung zu erleben und die eigene Position zu relativieren.
Wie einen Konflikt steuern?
Hier bin ich auf den österreichischen Organisationsberater und Konfliktforscher Friedrich Glasl und sein Modell zur Konflikteskalation bzw. -lösung aufmerksam geworden. Seine Unterteilung in drei Hauptphasen des Konflikts lassen unterschiedliche Lösungen und Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung zu. Da gibt die Aussicht auf eine Win-Win Situation, bei der wir alles selbst in der Hand haben. Dann der möglicherweise zu schnell eintretenden Win-Lose Ausgang, wo wir die sachliche Ebene verlieren und eine Partei den Kürzeren zieht. Tritt eine Lose-Lose Situation ein, gibt es nur noch Verlierer- wir benötigen Hilfe Dritter. Im Bild gesprochen, stehen beide Parteien am Abgrund. Ich glaube diese Kategorien sind gut spürbar und daher auch zur Steuerung der Gesprächstemperatur gut anzuwenden.
Was im Vorgenannten so „logisch“ klingt bedeutet meistens doch widerstreitende Positionen länger auszuhalten. In unserem inneren Dialog müssen wir nur allzu oft mit widerstreitenden Ideen leben. Wir können und müssen nicht immer eine einheitliche, verlässliche Sicht der Dinge einnehmen. Wir brauchen doch beides! Und ist nicht gerade dieses Abwägen, das Zweifeln, das eine bereichernde Dynamik entstehen lässt? Was wir dazu benötigen ist „Ambiguitätstoleranz[1]. Sie ist die Fähigkeit eines Menschen, mit Unsicherheiten, Mehrdeutigkeit und widersprüchlichen Handlungen oder Informationen umzugehen und diese zu ertragen. Es wird auch von Unsicherheitstoleranz gesprochen. Abgeleitet wird der Begriff aus dem Lateinischen „ambiguitas“ (Mehrdeutigkeit) und „tolerare“ (ertragen). Eine ausgeprägte Ambiguitätstoleranz lässt uns in unsicheren Situationen diese „als solche“ akzeptieren und verbessert unseren Umgang mit und die Reaktion auf Ungewissheit.
Mangelt es uns als Bürger der Zivilgesellschaft daran oder wird wie gegenwärtig, ein stilles Mitmachen gefordert, ohne das Für und Wider offen besprechen zu können, werden differenzierende Positionen und Lösungsansätze ausgeschlossen. Und dann meine Frage: wo wäre dazu heute das Forum? Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei, heißt es im Artikel 21 des Grundgesetzes. Sind es die Parteien?